Erwartungshaltung und technische Grenzen
Das ist notwendig um Messgeräte sinnvoll einsetzen zu können.
Ein neues hochwertiges Messgerät …
… flößte früher sowohl große Neugierde als auch unendlichen Respekt ein. An einem Stellknopf zu drehen, traute man sich kaum – man hätte das teure Instrument ja leicht beschädigen können.
Heute haben wir – durch ständige Präsenz – ein deutlich entspannteres Verhältnis zu technischen Geräten. Es gibt für alles eine App: herunterladen, ausführen, fertig. Wenn das nicht auf Anhieb funktioniert, sind Änderungen problemlos zu widerrufen. Schwerwiegende Konsequenzen sind in der Regel nicht zu fürchten.
Durch diese Entwicklung haben sich auch die Erwartungshaltungen gegenüber der Technik verändert. Geräte müssen robust, ohne großes Wissen bedienbar und verständlich sein.
Wenn ich nun etwas nicht gleich verstehe, dann brauche ich eben eine andere App, die das Problem für mich löst. Mit den Hintergründen für ein Problem will man sich hingegen nicht befassen. Gar etwas manuell zu verändern oder sich länger als ein paar Minuten mit einer Thematik auseinandersetzen, das geht nicht mehr.
So wird man zuerst sorglos,
später ahnungslos und zuletzt leichtsinnig.
Anders in der Industrie.
Hier ist weiterhin Grundlagenwissen und die Lust auf etwas Neues gefragt und notwendig – sowohl für den Aufbau von neuen Systemen, als auch um vorhandene Systeme und Anlagen zu warten oder zu reparieren.
Die systematische Vernetzung hat alle Bereiche der Technik erreicht. Das bedeutet aber auch, dass immer mehr Menschen sich mit der Thematik auseinander setzen müssen.
Die Folgen beeinflussen massiv ganze Berufsfelder. Ein Maschinenschlosser kommt schon eine Weile nicht mehr ohne Laptop aus. Inzwischen braucht er auch Spezialmessgeräte um seine Maschinen zu überprüfen und Fehler erfolgreich zu finden. Da hilft kein 32er Maulschlüssel und mit dem Multimeter allein kommt man auch nicht mehr sehr weit.
Leider stehen nun das Erleben von Vernetzung aus dem privaten Umfeld und die daraus resultierende Erwartungshaltung gegenüber der Vernetzung in der Automatisierung unserem Maschinenschlosser im Wege. Er meint, mit einem Spezialgerät lassen sich seine Probleme in Minuten lösen. Er erwartet die eindeutige Anzeige des bestehenden Problems ohne weiter darüber nachdenken zu müssen.
An dieser Stelle müssen wir unseren Schlosser leider enttäuschen.
Machen wir einen gedanklichen Ausflug in die Autowerkstatt. Dort wissen die Schlosser inzwischen aus leidvoller Erfahrung, dass eine Fehleranzeige im Display ihres OBD-Diagnosegerätes eben nur eine Momentaufnahme aus der Vergangenheit ist. „Störung Lambda-Sonde“ heißt nicht, dass ein Austausch der Sonde das Problem behebt – auch wenn das in 90% der Fälle erst einmal gemacht wird, schon des Profits wegen. Viele andere Ursachen kommen in Betracht, zum Beispiel ein loser Schlauch über den Nebenluft angesaugt wird.
Um das zu verstehen, muss man sich mit der Funktion der Sonde und der Regelung des Motors befassen. Das OBD-Diagnosegerät kann nämlich mehr oder weniger nur den Fehlerspeicher der Steuerung auslesen, keine Ursachenforschung betreiben.
Falsche Erwartungen
Leider passiert es, dass die Anwender unserer Diagnosegeräte auch mit falschen Erwartungen an die Sache herangehen. Das neue teure Gerät wird kaum beachtet und beiseite gelegt. Ist der Tag des ersten Einsatzes dann da, erwartet man direkt auf dem Display eine Arbeitsanweisung, was zu tun sei um den sporadischen Stillstand der Maschine zu beheben.
Verstehen Sie uns nicht falsch, nur zu gerne würden wir ein solches Gerät bauen, es wird aber nicht dazu kommen. Viel zu unterschiedlich sind die Anlagen um Derartiges leisten zu können. Und auch weil die Messgeräte viel mehr können als Fehlerspeicher auszulesen, ist eine umfangreiche Einarbeitung notwendig, wenn das Gerät sinnvoll eingesetzt werden soll. Unser Techniker oder Schlosser wird nicht viel mit dem Messgerät anfangen können wenn er nicht bereit ist, Zeit für das Erlernen der Grundlagen, Zeit für das Erlernen der Möglichkeiten und Grenzen der Messgeräte und Zeit für das praktische Messen und Probieren zu investieren.
Unser Techniker wird nicht viel mit dem Gerät anfangen können
wenn er nicht bereit ist, Zeit zu investieren.
Grundlagen: wie funktioniert der CAN-Bus, wie werden Daten ausgetauscht, was stört die Kommunikation, wie sieht ein guter Aufbau aus und welche Fehler sollten vermieden werden.
An zweiter Stelle muss man sich mit dem Messgerät selbst beschäftigen. Was kann das Messgerät eigentlich messen? Wie bediene ich das Gerät? Welche Arbeitsschritte sind sinnvoll? Welche Anzeigen erwarte ich denn in einem guten Bus bzw. in einem schlechten? Auch die Frage „Was kann ich damit nicht messen?“ ist wichtig.
Dann gilt es, das Gelernte auszuprobieren: Zuerst an einem funktionierenden Bus: zeigt das Messgerät die erwarteten Werte? Was passiert wenn ich kleine Veränderungen vornehme? Wie wird das vom Messgerät interpretiert?
Datenbasis aufbauen
KI – künstliche Intelligenz – ist ja derzeit in aller Munde. Aber was macht denn KI letztlich „nur“? Es speichert, was normal ist, indem das System mit Massen an Daten gefüttert wird. Ohne Vergleichswert ist es eben schwierig zu beurteilen, ob etwas gut oder schlecht ist.
Deswegen ist nach den ersten Gehversuchen mit dem neuen Messgerät noch lange nicht Schluss. Es gilt nun, sich eine Datenbank mit Vergleichswerten zu schaffen. Man läuft zu schnell Gefahr, ein Signal als „gut“ einzustufen, nur weil man es noch nie zuvor gesehen hat und keine Datenbasis als Referenz hat. Deswegen sollten die Techniker an ihren Anlagen an möglichst vielen Punkten in unterschiedlichen Betriebsmodi messen, soviel wie möglich Daten erheben, Teilnehmerlisten und Dokumentationen sinnvoll zusammenstellen und abspeichern – möglichst bevor es zu einem ersten Ausfall kommt. Es macht zum Beispiel wenig Sinn, an einem einzigen Messpunkt im Fahrzeug zu messen obwohl der Aufbau vier verschiedene Bussegmente hat. Hier sollte an jedem Segment wenigstens an einem Punkt gemessen werden, besser jeweils am Anfang und Ende.
Aber selbst mit all dieser Vorbereitung wird es immer noch nicht trivial sein, einen Fehler zu finden. Es geht jetzt darum sinnvolle Messungen durchzuführen und im Vergleich mit den alten Messdaten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ist der Bus überhaupt gestört? Kommt der Bus selber als Problem in Frage oder liegt das Problem wo ganz anders? Fragen, die man durch Vergleiche leichter beantworten kann als ohne Daten.
Es hilft immer, der Fehlersuche eine systematische, logische Vorgehensweise zugrunde zu legen. Leider gibt es dafür kein Patentrezept (siehe Komplexität und Unterschiedlichkeit der Anlagen). Aber wenn Sie die oben aufgeführten Schritte gegangen sind, haben Sie die besten Voraussetzungen, das Problem zu lösen, den Fehler zu finden und Ihre Maschine wieder zum Laufen zu bringen. Ein Techniker, der diese Schritte gegangen ist, hat einen Erfahrungsschatz angesammelt, der ihm nicht zu nehmen ist. Und mit jedem Einsatz wächst der Schatz.